Statement zu Gewalt in Kindergärten

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Statement der Plattform EduCare zu den jüngsten Fällen von Gewalt und Übergriffen in österreichischen Kindergärten*

Über die Medien sind in den letzten Monaten Fälle von gewalttätigen Handlungen und Übergriffen in Kindergärten durch PädagogInnen bzw. Betreuungspersonal bekannt geworden.  
Die Vorwürfe lauteten, dass Kinder eingesperrt, zum Essen gezwungen, gedemütigt etc. wurden.
Aus gesetzlicher Sicht wird im Übereinkommen über die Rechte des Kindes, kurz der UN- Kinderrechtskonvention, im Artikel 19 das Recht jedes Kindes auf gewaltfreie Erziehung und im Artikel 3 das Recht auf Kindeswohl erläutert.
Alle Vorfälle müssen ernst genommen, lückenlos aufgeklärt, ggf. sanktioniert und Betroffene psychologisch betreut werden. Als ExpertInnen im Bereich der Elementarpädagogik ist uns wichtig, das Thema aufzugreifen, bei den Fakten zu bleiben und das Gesamtbild zu betrachten, um nicht "Öl ins Feuer" zu gießen, sondern einen Diskurs anzustoßen.

Bei den medial genannten Vorfällen handelt es sich um sehr bedauerliche Vorfälle, daher müssen zusätzlich zur Aufklärung die Strukturen dahinter beleuchtet werden, die diese Entwicklungen begünstigen. Das System, in dem die institutionelle elementarpädagogische Bildung und Betreuung erfolgt, hat massive Probleme in der Finanzierung. Auch der PädagogInnenmangel – und damit die österreichweite Bereitstellung von gut ausgebildetem Fachpersonal – ist ein Problem. Auf die unzureichenden Rahmenbedingungen im elementaren Bildungsbereich weisen ExpertInnen seit Jahren hin. Handlungsbedarf gibt es in vielen weiteren Bereichen, u.a. beim Konfliktmanagement, der Bewältigung des administrativen und organisatorischen Aufwandes, den fehlenden Ressourcen für strukturelles Reflektieren sowie für Supervision – und der politischen Wahrnehmung dieser Hindernisse für den elementaren Bildungsauftrag. Und das sind nur die größten Probleme, mit welchen die MitarbeiterInnen der Kindergärten zu kämpfen haben.  
 
Im Nationalen Bildungsbericht 2018 machen die AutorInnen darauf aufmerksam, dass es durch steigende fachliche, wie auch politische Anforderungen zu einer Überforderung des elementarpädagogischen Systems und den darin handelnden Personen kommen kann! Vor allem durch die kleingliedrige Kompetenzverteilung (u.a. 15a Vereinbarung) und der geringen wissenschaftlichen Infrastruktur in Österreich bekommen elementare Bildungseinrichtungen zu wenig monetäre Mittel zur Verfügung gestellt. Ohne die Bereitstellung entsprechender Finanzmittel sind alle anzustrebenden Reformbedingungen nicht realisierbar. Mindestens 1% des Bruttoinlandsprodukts ist für den elementaren Bildungsbereich aufzuwenden – Österreich investiert 0,6% des BIP (vgl.: Hartel, Birgit, Hollerer, Luise, Smidt, Wilfried, Walter-Laager, Catherine, Stoll, Martina: Nationaler Bildungsbericht 2018, Band 2, Beitrag 5).

Das Thema Gewalt in pädagogischen Einrichtungen ist derzeit vor allem im schulischen Bereich bekannt, weniger in der Elementarbildung. Vereinzelt wird aber bereits auf wissenschaftlicher Ebene dazu geforscht. Claudia Schütz setzte sich im Rahmen ihres FH-Studiums „Sozialmanagement in der Elementarpädagogik“ mit dem Thema „Gewalt im Kindergarten“ auseinander. Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit untersuchte sie sowohl physische als auch psychische Formen von Gewalt in elementaren Bildungseinrichtungen und weist auf die unzureichenden Rahmenbedingungen in den Kindergärten hin. "Die Rahmenbedingungen, welche teilweise zur Überforderung der pädagogischen Fachkräfte und in weiterer Sicht möglicherweise zu gewaltvollen Handlungen führen, müssen verbessert werden. Es braucht Arbeitsbedingungen, welche den Aufbau vertrauensvoller und emphatischer Beziehungen zu den Kindern begünstigen", so eine wesentliche Schlussfolgerung von Schütz.
Eine pädagogisch fortschrittliche Arbeit ist unter den derzeitigen Rahmenbedingungen oftmals nicht möglich. Der Kindergarten, in dem der Grundstein des Bildungsweges gelegt wird, verkommt dadurch zur reinen Betreuungseinrichtung.

Wir – als PädagogInnen, BerufsvertreterInnen, Trägerorganisationen, WissenschaftlerInnen und AusbilderInnen – wissen, dass jede/r in einer elementaren Bildungs- und Betreuungseinrichtung in Situationen kommen kann, die überfordern. Übergriffe werden verschwiegen und tabuisiert, denn sie passen nicht zum Selbstbild der PädagogInnen, immer ein gutes Vorbild zu sein. Psychohygiene in Form von fachkundiger Beratung und Begleitung, etwa durch Supervision, wird selten angeboten. Passiert etwas und es wird öffentlich, werden fristlose Entlassungen und (vorläufige) Dienstsuspendierungen ausgesprochen, die in einigen Fällen auch unabdingbar sind. In anderen Fällen bringen ungeklärte Verdächtigungen womöglich Unschuldige um ihre wirtschaftliche Existenz. Dadurch verschärft sich die allgemein schwierige Situation der betroffenen Bildungseinrichtung, denn es gibt immer mehr Überforderung bei den PädagogInnen, vermehrte Forderungen und Unterstützungsbedarf seitens der Eltern und enormen Druck seitens der Öffentlichkeit.

Als übergeordnete Plattform fordern wir endlich eine Verbesserung der Rahmenbedingungen, um ausreichendes und gut ausgebildetes Personal sowie eine Kultur des Konflikte-Ansprechens zu etablieren bzw. ein Umfeld zu schaffen, in dem diese Probleme rechtzeitig erkannt und verhindert werden können. Das erfordert die Miteinbeziehung aller Betroffenen in die politischen Entscheidungen. Aus diesem Grund fordert die Plattform EduCare die Etablierung eines elementarpädagogischen Beirats im Bildungsministerium!

*Der Begriff Kindergarten schließt alle elementaren Bildungseinrichtungen (Kinderkrippen, Kleinkindergruppen, Kindergruppen etc.) mit ein.

Im Namen der folgend genannten Steuergruppenmitglieder:
Mag.a Bettina Wachter, Sprecherin der Plattform EduCare
Susanna Haas, MA, Pädagogische Leitung, St. Nikolausstiftung EDW
Mag.a Nina Hover-Reisner, Studiengangsleiterin "Sozialmanamement für die Elementarpädagogik" an der FH Campus Wien
Raphaela Keller, Vorsitzende des ÖDKH
Viktoria Miffek, Pädagogin
Grete Miklin, Geschäftsführerin Bundesverband Österreichischer elternverwalteter Kindergruppen (BÖE)
Dagmar Petrovitsch, Referentin für Elementarpädagogik der Evangelischen Kirche in Österreich  
Mag.a Petra Pinetz, Leitung Beratungsstelle für (Vor-) Schulische Integration, Verein "Gemeinsam Leben – Gemeinsam Lernen"
Helena Planicka, DSA – Geschäftsführerin der Wiener Kinderdrehscheibe und von "Eltern für Kinder Österreich"

Rückfragehinweis:
Mag.a Bettina Wachter
Sprecherin der Plattform EduCare
office@plattform-educare.org
+43 650 9460931

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